„Zu wenig Jungs“

Heute beginnt die 44. Spielzeit der Bundesliga. Hans Meyer, Trainer des 1. FC Nürnberg, macht sich Gedanken über den Fußball in Deutschland

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr Meyer, welchen Fußball wird Nürnberg in der kommenden Saison spielen?

Hans Meyer: Wir wollen uns so präsentieren, dass wir nicht im Zusammenhang genannt werden mit den Vereinen, die gegen den Abstieg spielen – was ja in Deutschland schon nach dem ersten Spieltag gemacht wird. Damit ist alles gesagt. Wie wir das erreichen, ob mit einer sehr disziplinierten, sehr abwehrbetonten Einstellung oder mit offensivem Fußball – diese Frage kann man getrost vergessen.

Sie haben keinen konkreten Plan?

Natürlich habe ich einen Plan. So wie jeder Trainer habe ich auch eine Vorstellung davon, wie man am besten Fußball spielt. Ich wehre mich nur dagegen, dass ein Trainer die Art und Weise zu spielen als Selbstzweck betrachtet. Er wird immer auf eine Art spielen lassen, von der er überzeugt ist, dass sie zum Erfolg führt. Anders geht das gar nicht.

Es gibt also bei Ihnen keine grundsätzlichen Vorgaben?

Ich fände es natürlich gut, wenn man die Mannschaft gar nicht einstellen müsste, sondern wenn die Mannschaft auf eine veränderte Situation auf dem Platz selbst reagiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jürgen Klinsmann gegen Argentinien und gegen Italien gesagt hat: Jungs, ab heute müssen wir es anders machen. Dennoch hat die Mannschaft, als sie mitbekommen hat, dass sie gegen individuell stärkere Gegner die Spielbestimmung in der Form nicht durchziehen kann, umgestellt auf einen Abwehrverbund und hat das richtig gut gemacht.

Wie reagieren ihre Spieler?

Wenn ich zu Hause gegen Mannschaften, die mit uns irgendwo rumpaddeln im Mittelfeld oder drunter, Spielbestimmung fordere, dass also die Spieler vorne draufgehen und den Gegner beunruhigen, dann muss das gegen Bayern, den HSV oder Bremen noch lange nicht so greifen, also gegen Mannschaften, die individuell besser besetzt sind.

Hat nicht Jürgen Klinsmann vorgemacht, dass Erfolg wissenschaftlich planbar ist?

Tatsache ist doch, dass Klinsmanns Mannschaft mit Abstand am besten vorbereitet war. Auch für mich ist Fußball auf längere Sicht planbar. Die Wissenschaft spielt dabei nur eine kleine Rolle. Erfolg hängt vielmehr davon ab, ob ein Club eine langfristige Konzeption hat, ob man in Ruhe und unabhängig von zwischenzeitlichen Resultaten etwas aufbauen kann. Natürlich sollte man sich alles, was im Fußball wissenschaftlich erfassbar ist, zunutze machen. Jeder Trainer, der das nicht macht, müsste Schläge bekommen. Aber diese Dinge machen nicht mehr als 15 Prozent am Erfolg aus.

Wenn Klinsmann in dieser Hinsicht als Neuerer gefeiert wird, heißt das ja, dass in der Bundesliga bislang nicht optimal gearbeitet wurde.

Ich fand diese ganze Diskussion in einer unglaublichen Art vorgeprägt, um den Dummköpfen in unserer Umgebung Futter zu geben. Wenn Oliver Bierhof gesagt hat, die Bundesliga liege im Winterschlaf oder im Dornröschenschlaf – dann geht es doch darum, eine inhaltliche Analyse zu erbringen und dann aus einer solchen Analyse Verbesserungen hervorzubringen. Für mich ist das Allerpositivste an der Ära Klinsmann/Löw, dass sie versucht haben, in einem Land – in dem das nicht Grundlage von Ausbildung und Spielkonzeption ist – nicht nach Ballverlust grundsätzlich kehrtzumachen, sondern nach vorne zu verteidigen, das Spiel vom Tor wegzuhalten. Aber alle reden immer nur von irgendwelchen Gummibändern. Und es ist natürlich wunderschön, den Leuten draußen zu erzählen, dass das enorm wichtig wäre.

An der Trainingsmethodik liegt es also nicht, dass deutsche Clubs in den Europapokalwettbewerben regelmäßig früh scheitern?

Selbst die Bayern, unser Paradepferd für gute Nachwuchsarbeit, aber auch für sinnvolle und weitsichtige Kaderpolitik, können aus Vernunft finanziell nicht mehr mithalten. Schauen Sie doch mal die Schuldenzahlen in anderen Ländern an! In Italien, England oder Spanien sind es doch nicht die 18-jährigen Talente aus der eigenen Nation, die das Spiel bestimmen. Das ist das Erste. Aber das größte Problem im deutschen Fußball – das sage ich auch nach dieser WM – ist die Arbeit im Nachwuchsbereich. Da geht es nicht darum, dass die Chancen für die deutschen Talente nicht da sind. Ein Magath wäre doch nie auf die Idee gekommen, für unseren jungen Philipp Lahm irgendeinen Mann aus Nigeria zu holen oder aus Kamerun.

Es gibt also keine Talente?

Wir haben insgesamt zu wenig Jungs, die nach ein paar Lehrjahren in der Bundesliga dann mit Mitte 20 bereitstehen für die große Aufgabe. Wir entwickeln für den eigenen deutschen Fußball im Kreativbereich, während der Ausbildung, zu wenig. Da wird dann immer gesagt: Wir waren immer Deutsche, wir waren nie Südamerikaner, wir waren nie Afrikaner mit ihrer Gewandtheit und mit ihren Möglichkeiten, den Ball zu behandeln. Dass Deutschland die großen Turniere gut vorbereitet und körperlich fit oft sehr gut bestreitet, kaschiert immer wieder, dass wir auf den Positionen der Overaths, der Littbarskis oder der Häßlers sehr zu knaupen haben.

Warum wird oft zu langsam aufgerückt, zu oft quer gespielt in der Bundesliga?

Klinsmann hat sehr richtig gesagt: Das große Problem im deutschen Fußball ist, dass nicht der richtige Zeitpunkt gewählt wird, in die Tiefe zu spielen. Der Moment, in dem ich nach vorne spielen kann, der ist gegen eine gut organisierte Mannschaft oft nur den Bruchteil einer Sekunde lang da. Wenn ich das nicht erkenne, dann ist eine halbe Sekunde später das geforderte Tiefspiel aber richtige Asche, dann folgt ein billiger Ballverlust. Dann kann ich den Ball gleich mit der Hand nehmen und ihn zum Gegner tragen.

In England wird schneller in die Tiefe gespielt.

Ein Beispiel: Man hat über Jahre diskutiert über diese für mich völlig sinnlose Rückpassregel, dank der der FC Bayern einmal sogar Meister geworden ist. In England pfeift das ganze Stadion, wenn irgendein Spieler den Ball zurückspielt, wenn für den Blödesten draußen zu erkennen ist, dass er eigentlich nach vorne oder ins Mittelfeld gespielt werden müsste. Das macht der zwei Mal und dann hat das Publikum ihn erzogen. Wenn aber ein Spieler in England mit Mühe und Not im letzten Tackling und ganz klar behindert den Ball auf den Torhüter spielt, wird er mit tosendem Beifall bedacht. Wenn sich das überall in den Stadien durchgesetzt hätte, dann brauchst du keine Rückpassregel.

Dann gibt es in England also eine grundsätzlich andere Einstellung zum Spiel.

Da geht es aber doch nicht um die Diskussion, einfach nach vorne zu spielen. Es geht darum, dass ich auf dem Spielfeld selbst bestimmen will, was passiert.

Wir diskutieren über die Art Fußball zu spielen – und am Ende stehen dann die Mannschaften vorne, die am meisten in ihre Teams investieren.

Das Schöne ist, dass es da auch immer Ausnahmen gibt wie den VfL Bochum vor drei Jahren, der es als Neuling in den Uefa-Cup schafft. Die Klugscheißer sagen immer: Geld schießt keine Tore. Sehr populistisch. Wenn ich mit meinem Club deutlich mehr Geld habe als 14, 15 Mannschaften in der Liga, dann kann ich mit Transferkonzeptionen, mit Trainingskonzeptionen und gut organisierter Arbeit dem Anspruch gerecht werden, Fünfter zu werden. Bochum hat es geschafft, diese Theorie zu widerlegen. Aber dann gleich wieder absteigen zu müssen, zeigt auch die Gefahren, die auf die Vereine lauern.

Und welche Möglichkeiten hat Nürnberg nach der herausragenden Rückrunde in der letzten Saison?

Wir haben mit Stefan Kießling und Mario Cantaluppi, meinem Spielführer, zwei Stammspieler abgegeben. Dafür haben wir mit Tomas Galasek einen geholt. Und dennoch hält es alle Welt für normal, dass du um den Uefa-Cup mitspielst. Ich antworte auf so etwas immer mit der Frage: Warum so bescheiden?

Wer sind denn ihre Hauptkonkurrenten im Kampf um die Champions-League- Plätze?

Unser Präsident hat das Kampfziel Platz neun bis zwölf ausgegeben – das ist eine schöne und nicht unrealistische Zielstellung. Wenn wir 13. werden und nichts mit dem Abstieg zu tun haben, dürfen wir auch zufrieden sein. Oder hat irgend jemand Jürgen Klinsmann den Kopf abgerissen, weil Deutschland nicht Weltmeister geworden ist?

Und wer wird Meister?

Wenn wir es nicht direkt werden, denke ich, dass Bayern Meister wird.